Druiden und Dornen

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Gavín rieb sich die Stirn, als er aus dem kleinen Saal trat. Rechnen war eine Sache, aber höhere Mathematik? Er hatte jetzt schon Kopfschmerzen und das war erst die Einführung gewesen.

Ja, er freute sich schon auf die Berechnung von Statik oder Dichte von Sedimenten, aber er freute sich nicht auf die Formeln. Wenn es wenigstens Zahlen gewesen wären, aber nein, es waren Zahlen, seltsame Buchstaben und Zeichen, in denen anderen Formeln verborgen und enthalten waren.

"Na, macht der Druide schon schlapp?", lachte einer der anderen Schüler neckend. Gavín zeigte nur ein schmallippiges Lächeln als Erwiderung. Er war nicht auf Konfrontation aus und seitdem er angekommen war, wurde er immer wieder das Ziel von sanftem Spott. Zumindest war der Spott bisher sanft geblieben.

Viele hatten keine hohe Meinung von Druiden oder eine falsche Vorstellung davon, was Druiden eigentlich waren. Teilweise auch völlig absurde Theorien. Eine von denen war, dass Druiden im Wald nackt mit Elben verkehrten und die seltsamsten Rituale vollzogen, um länger zu leben, Kräfte zu erlangen oder sogar mit der Anderswelt zu sprechen.

Schön wäre es gewesen. Gavín war drauf und dran, einigen dieser Gerüchte mehr Futter zu geben. Die einfachste Methode wäre sich zu schminken und so zu tun, als wären die verwaschenen Zeichnungen auf seinem Gesicht die Überbleibsel eines solchen Rituals.

Zugegeben, Gavín besaß Kräfte. Wie jeder Druide. Keine offensiven Kräfte wie manche Magier, aber er konnte heilen und das war viel wert. Noch war er nicht imstande, diese Kräfte zu kanalisieren wie seine Mutter, dennoch war auch das nur eine Frage der Zeit und bis dahin hoffte er einfach, dass seine bloße Existenz die Heilfähigkeiten unterstützte.

Die nächste Lektion würde in einer Stunde wieder in der Medica stattfinden. Dort brauchte er eigentlich nichts mitnehmen, als seine Robe und sich selbst. Die Ausrüstung durfte die Medica nicht verlassen, da sie sonst aufwändig desinfiziert werden musste. Medizinische Angelegenheiten waren da die Ausnahme.

Noch hatte Gavín Zeit, seine Bücher, Aufzeichnungen, Schreibmaterial und Schriftrollen in sein Zimmer zu bringen, auszutreten und dann in die Medica zu gehen. Danach würde es erst zur Mittagspause läuten. Lieber hätte er es andersherum gehabt - mit leerem Magen Patienten zu behandeln war nie eine gute Idee - aber die Dinge waren hier nun einmal so, wie die Dinge waren.

Sein Zimmer lag im vierten Stock des dritten Schülergebäudes, eines der letzten freien Zimmer, wie man ihm gesagt hatte. Da es immer ein großes Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Schülern gegeben hatte, war die Zimmerverteilung gemischt. Es gab zwar auch Gemeinschaftszimmer, aber diese waren dann homogen, also nur Männer mit Männer und Frauen mit Frauen. Einzelzimmer wie die von Gavín und Sillana wurden so vergeben, wie sie frei waren.

"Hallo.", murmelte Gavín der Statuette von Lanialellara zu, berührte sie zaghaft am Arm, wie er es mittlerweile jeden Morgen tat. Er wusste nicht, ob der Engel ihn hörte oder nicht, aber es gab ihm ein gutes Gefühl, an sie und ihre Existenz zu glauben. In der Bibliothek hatte er sich auch eine Ausgabe des Buchs der Farben bestellt, welches in ein paar Tagen ankommen würde. Gebrauchte Ausgaben gab es momentan nicht und Gavín war nicht bereit, an sein teuer erkauftes Gespartes zu gehen, um die Zeit zu verkürzen.

Er trat noch einmal rasch aus, sortierte seine Bücher in das schmale Regal, sein Schreibzeug und die Schriftrollen legte er einfach auf den schmalen Schreibtisch. Den Dolch, den er immer noch am Unterschenkel trug, behielt er ständig bei sich. Bisher hatte es keinen Grund gegeben, ihn zu ziehen, aber alte Gewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen.

Der Weg zur Medica war nicht lang. Das flache Gebäude lag links von der Universität und fühlte sich manchmal an, als hätte man bei der Planung des Geländes nicht daran gedacht, dass es auch Kranke und Verletzte geben könnte. Was aber bei genauerer Betrachtung sofort hinfällig war, denn die Medica umgaben eine Menge Felder und Beete, wo Kräuter und andere Pflanzen angebaut wurden, um Tränke, Heilpasten oder einfache Medikamente herzustellen. Ein Bienenschwarm sorgte für die Befruchtung der Pflanzen, mehrere Schüler versorgten die Beete und Felder mit Wasser, indem sie große Eimer schleppten. Es gab zwar die Überlegung, mit Mechanik und Physik irgendwie eine Art Bewässerungssystem zu bauen, aber noch gab es keine gescheite Lösung.

Gavín betrat das kühle Gebäude, legte sich eine der dicken Lederschürzen an und betrat die Lehrräume, in denen Meisterin Melania ihre Vorträge zu halten gedachte, bevor es an die Arbeit ging. Natürlich nur, solange es keine Patienten gab.

Dieses Mal war sie nicht da. Ihr Geruch, eine Mischung aus Kräutern, Alkohol und neutraler Seife, hing noch in der Luft, so weit konnte sie also nicht weg sein. 

Gavín fand sie im rechteckigen Behandlungsraum, der zwölf Liegen aus Metall fasste. Metall war einfacher zu reinigen als Holz und konnte schneller desinfiziert werden. Dass Metall kalt war, wurde von allen ignoriert, denn Kälte war ein Umstand, den man rasch beheben konnte.

Meisterin Melania stand vor einem Patienten, der sein Oberteil entfernt hatte und über und über mit roten, teils eitrigen Pusteln übersät war.

"Uh", machte Gavín, als er um die Liege herumtrat, "Kochnidallergie?"

Sowohl Patient als auch Meisterin schauten Gavín überrascht an. "Ja", sprach die Meisterin langsam, "Ihr wisst offenbar, was es ist?"

"Eine recht bekannte Krankheit unter Soldaten." Gavín säuberte sich die Hände mit Seife am Waschbecken und kam dann wieder. "Viele Soldaten glauben, Kochnid schütze ihre Füße vor Blasen und Infektionen. Was teilweise auch stimmt, ebnet aber dafür anderen Infektionen den Weg." Er deutete auf die Pusteln. "Das sind diese hier."

"Und die anderen?"

"Hu." Gavín wedelte sich mit der Hand Luft zu. "Hm, selbst behandelt? Vermutlich Brennnessel und Diestel?" Der Patient - ein Schüler, den Gavín nur aus der Ferne kannte - nickte leicht. Gavín wandte sich an die Meisterin. "Was sagt Ihr dazu? Soll ich eine Paste herstellen?

"Master Gavín, Ihr überrascht mich." Melania nickte leicht. "Eine Paste wäre gut. Was schlagt Ihr vor, machen wir mit den eitrigen Pusteln?"

"Nicht drangehen wäre meine Empfehlung. Man kann sie aufstechen, aber das würde zu einer unschönen Narbenbildung führen und zu Schmerzen, wenn man die Paste benutzt."

"Korrekte Antwort." Melania schaute den Patienten an. "Ihr habt ihn gehört, Master Folgar?"

"Ja, habe ich."

"Gut. Master Gavín wird Euch die Paste geben und Euch Instruktionen nennen."

Den Rest hörte Gavín nicht mehr, denn er begab sich in den sogenannten Mischraum, der eine Kombination aus riesigem Labor und Vorratskammer war. Es roch nach starkem Alkohol und Kräutern. Gavín holte sich einen Mörser, einen Brenner, Wasser und einen Kolben. Kräuter und Pflanzenstängel wurden zermahlen, Alkohol wurde erhitzt und später alles zusammengefügt, während Gavín ein Lied darüber sang, um seine druidischen Einflüsse geltend zu machen.

Weder die Fibel noch das Abzeichen selbst waren magischer Natur, daher musste Gavín annehmen, dass die Einflüsse mit dem Titel "Druide" zusammenhingen.

Eine halbe Stunde später trat er mit einer kleinen Schatulle aus Stein heraus, in dem die grau-grüne Paste vor sich hin schlummerte.

"Hier." Er drückte Folgar die Schatulle in die Hand. "Auftragen, Verbände befestigen, nach einem Tag abwaschen und so lange wiederholen, bis entweder die Paste ausgegangen ist oder die Pusteln verschwunden sind. Lasst mich Euch die ersten Verbände anlegen."

Gavín zeigte Folgar, wie er die Paste dünn genug auftrug und erklärte ihm die Wirkungsweise, zeigte ihm auch, wie er die Verbände richtig anlegte. Der Schüler war nicht dumm und das war gut, denn eine Kochnidallergie war kein Spaß. Es gab noch eine Kochnidvergiftung, die war unter Umständen sogar tödlich und hatte ähnliche Symptome wie eine Bleivergiftung.

"Ich weiß nicht, ob ich Euch ausbilden oder direkt anstellen sollte.", gestand Meisterin Melania, als Folgar verschwunden war. "Aber das erscheint mir eine Nebenwirkung davon, dass Ihr ein Druide seid."

"Ihr habt noch nicht oft mit Druiden zu tun gehabt?", fragte Gavín, während er sich die Hände mit heißem Wasser wusch.

"Nein, nicht einmal mit Eurer Mutter." Die schlanke Frau desinfizierte die Liege, auf der Folgar gesessen hatte, es stank rasch nach reinem Alkohol. "Ich hatte eigentlich erwartet, dass Ihr Blumen oder Äste im Haar tragt."

"Ein Vorurteil, was leider einen wahren Kern hat." Gavín wandte sich um. "Einige Druiden tragen tatsächlich Äste im Haar. Ich hingegen nur ein paar Nüsse." Er zeigte ihr seinen Zopf, den sie eigentlich schon viel früher hätte sehen müssen. Dieses Gespräch war so oder so längst überfällig.

"Wieso Nüsse?" Sie schaute genauer hin. "Eicheln?"

"Ja. Ein kleiner Same, aus dem irgendwann ein riesiger Baum werden kann. Und ich gedenke, noch etwas zu wachsen." Er schmunzelte. "Außerdem finde ich sie hübsch."

"Verstehe." Ihre blau-grauen Augen wanderten über sein Gesicht, als würden sie nach Antworten auf Fragen suchen, die sie nicht gestellt hatte. "Ihr seid aber kein Magier, oder?"

"Nein, ich bin ein Druide.", antwortete er, als würde es seine Probleme, seine Fähigkeiten, seine Reise und sein gesamtes Dasein erklären, was der Begriff Druide eigentlich tun müsste.

"Ich verstehe." Sie lächelte schmal. "Es ist gut, dass Ihr mir helft. Vielleicht kann ich doch etwas von Euch lernen."

"Ich hoffe, dass ich noch viel mehr von Euch lernen kann."

"Das werdet Ihr mit Sicherheit. - Ah, der nächste. Oh, was ist denn mit Euch passiert?", rief Melania aus, als drei Schüler in den Behandlungsraum stolperten. Alle drei waren Frauen, die mittlere wurde von den anderen gestützt. Ihre Robe war zerfetzt, rauchte an einigen Stellen und sie blutete aus mehreren offenen Wunden. Viele kleinere Verletzungen zogen sich über Arme, Gesicht und Kopf.

"Explosion im Labor.", keuchte eine der Helferinnen. Gavín griff rasch zu, beförderte einen der Schiebewagen aus Metall heran, holte Skalpell, Nadel, Faden, Verbände, Alkohol und Betäubungsmittel, bevor die Patientin überhaupt auf der Liege war. "Sie stand vor dem Kolben."

"Sieht nach einer Kettenreaktion aus." Melania horchte auf den Atem der Frau. "Lunge scheint nicht beschädigt zu sein. He, könnt ihr gut atmen?"

"Ja.", keuchte die Verletzte zwischen zwei Atemzügen. "Tut weh."

"Rauchvergiftung?", mutmaßte Gavín, während er die Robe mit einer scharfen Schere aufschnitt und die junge Frau bis zur Hüfte entblößte.

"Eher Verätzung. Lasst uns erst die Splitter finden und dann die Blutung stoppen."

"Schon dabei."

 

 

Stunden später sank Gavín ermattet neben der gereinigten Liege auf einen Stuhl, die Hände noch blutig, brennend vom Reinigungsalkohol. Seine Robe hatte ein paar Flecken abbekommen, die Schürze aber das Meiste. Etwas Gallseife und Wasser würden aber auch dieses Problem beheben.

Die gute Nachricht: die junge Frau würde überleben.

Die schlechte Nachricht: die Verätzungen an den Händen würden Narben hinterlassen. Ein mächtigerer Druide hätte sicherlich auch etwas dagegen tun können, aber dazu reichte Gavíns Heilkunst einfach nicht aus. Noch nicht jedenfalls. Und was die Verätzungen der Lunge anging, musste die Zeit zeigen.

"Gute Arbeit." Melania reichte Gavín einen Becher mit heißer Ziegenmilch. "Zu dumm, dass ihr das Mittagessen verpasst habt."

"Und?" Gavín hob prostend den Becher, bevor er zwei kräftige Schluck nahm. "Ich kriege bestimmt noch ein paar Reste, ansonsten gehe ich eben in die Stadt. Mir war das Leben der Frau wichtiger."

Innerlich dankte er Lanialellara für die Stärke, die sie ihm gegeben hatte. Er fühlte sich wirklich hungrig und etwas schwach, vor allem aber ausgezehrt.

"Gesprochen wie ein wahrer Heiler.", lachte die Meisterin trocken. "Oder eher wie ein Druide."

"Beides, würde ich sagen." Mit einem angestrengten Geräusch stand Gavín auf, trank den Rest Milch und reinigte sowohl den Becher als auch seine blutigen Hände im Waschbecken. "Ich denke, es wird Zeit für mich. Es warten noch ein paar mathematische Hausaufgaben auf mich."

"Ihr bekommt Hausaufgaben?"

"Nein, aber irgendwie muss ich es ja lernen.", lächelte er die Meisterin an. "Danke für die heutigen Lehrstunden."

Melania neigte den Kopf mit den straff zusammengebundenen Haaren. Gavín verließ die Medica, lenkte seine Schritte zur Küche und bekam dort noch ein paar kalte Kartoffeln mit Möhren und Soße, welche er mit ebenso kaltem Tee verschlang. Ein gutes Abendessen. Besser als kaltes Fleisch und noch kältere Pilze an einem kalten Wintermorgen.

Auf dem Rückweg überlegte er, ob er noch einen Abstecher zur Bibliothek für das Buch der Farben machen sollte und entschied sich dafür. Leider war das Buch noch nicht geliefert worden, also verließ Gavín unverrichteter Dinge das schöne, stille Gebäude und bemerkte Sillana, die geschwinden Schrittes aus der Universität geeilt kam. Er wollte ihr zurufen, als ein paar männliche Schüler ihr genauso schnell folgten.

Gavín brauchte sich nicht wundern, was geschehen würde. Er drehte sich zur Seite, machte größere Schritte und lief parallel zu Sillana. Vor den Wohnhäusern sollten sie aufeinandertreffen, aber die Schüler holten seine Schwester ein, bevor sie die rettenden Häuser erreichen würde.

"Wohin denn so eilig?", fragte der Größere mit der Topfhelmfrisur. Wenn Frisuren doch nur Intelligenz anzeigen würden...

"Verschwindet.", zischte Sillana, was Gavín durchaus schon hörte. "Lasst mich in Ruhe."

"Oh, die Kleine ist zickig.", lachte einer der anderen, griff zu und anstatt ihre Brust erwischte er nur ihre Bücher, die dumpf auf dem - zum Glück - trockenen Boden landeten.

"Ach komm, wir wollen nur ein wenig Spaß haben.", meinte einer der anderen. "Wir sind auch ganz freundlich."

Am Arsch seid ihr das, dachte Gavín und trat an Sillana heran. "Hallo, Sil. Du so spät noch unterwegs? Wer sind deine Freunde?"

"Was geht dich das an?" Der Große - kaum größer als Gavín - zischte ihn an und schien dabei unwissentlich einen Teekessel zu imitieren.

"Darf ich mir keine Sorgen um meine Schwester machen, wenn sie von ihren Freunden", er betonte das Wort absichtlich, "so ausgefragt wird?"

"Wir wollten nur etwas feiern gehen. Es kann doch nicht alles nur auf Lernerei und in staubigen Büchern enden, oder?"

"Doch, kann es.", lächelte Gavín, zeigte seine Zähne. "Wollt ihr mich auch einladen? Nein? Dann verschwindet."

"Ha, nein!" Der Große zog ein Messer. Wie dumm konnte man bitte nur sein? "Sie kommt mit uns."

Gavín seufzte. Nach den Jahren bei den Silberfischen machte ihm ein Messer kaum etwas aus, viel zu oft hatte er sich in Gefahr begeben.

"Leute, ihr solltet echt einfach gehen." Er schob Sillana, die sich etwas dagegen sträubte, nach hinten.

"Du kannst uns auch einfach bitten.", meinte der Kleinere von eben, wobei er sich über die Lippen leckte, aber nicht Gavín anschaute, sondern Sillana.

"Uh... ich denke nicht." Er räusperte sich. "Daher sage ich es euch freundlich: verpisst euch!"

Die Mienen der Schüler verhärteten sich und der Große stach zu. Gavín wunderte sich, wie man nur so dumm sein konnte, Gewalt für etwas Alkohol und Sex als letztes Mittel zu sehen.

Da der Große das Messer falsch hielt - Schneide unten, Spitze nach oben - war es für Gavín ein Leichtes, die Waffe in seiner Robe einzufangen und ihm den Daumen auszurenken, was in überraschtes gepeinigtes Geheule mündete. Als der Druide aber auch den Zeigefinger ausrenken wollte, ertönte hinter ihm ein wütender Aufschrei und Sillana hieb dem Großen ihr Buch ins Gesicht, was ihm die Nase brach und er heulend nach hinten kippte, während Blut aus beiden Nasenlöchern heraussprudelte.

Der andere Sprecher wollte eingreifen, aber Sillana war so wütend, dass sie ihm auch gleich das Buch ins Gesicht schmetterte, was ihm zwar nicht die Nase brach, aber doch einen ansehnlichen Bluterguss einbringen würde.

"Verpisst euch endlich!", brüllte sie die Kerle an. Die beiden, die nichts gesagt hatten, halfen ihrem Anführer auf, schleppten ihn davon, während der Kleine sich das Gesicht hielt. Wahrscheinlich würden sie Gerüchte streuen, aber sie würden mit der wahren Geschichte nicht zu Meisterin Melania gehen, sondern irgendetwas erfinden.

"Wir sollten Meister Roland aufsuchen.", grummelte Gavín, hob zwei der Bücher auf, Sillana das letzte.

"Nein!", widersprach sie heftig. "Er würde es nur herunterspielen."

"Ich dachte, er sei dein Mentor."

"Ja, aber auch ein Mann."

"Urgh, Sil." Gavín verdrehte die Augen. "Fang nicht so an. Du hast doch Thabo, der ist doch auch ein Mann."

"Ja, aber er ist nicht weisungsbefugt und möchte diese Möchtegern-Archäologen schützen."

"Will Meister Roland das?"

"Ich...gehe davon aus."

"Sill..." Gavín legte den Kopf schief. "Wir gehen jetzt zu Meister Roland. Warum muss ich hier den Vernünftigen spielen?"

Sillana gab ein nicht so damenhaftes Geräusch von sich. "Gut. Aber du musst mir versprechen, dass du mir erzählst, was mit dir passiert ist. So habe ich dich noch nie gesehen."

"So?"

"Du hast den Kerl entwaffnet und ihm den Finger gebrochen, bevor wir überhaupt reagieren konnten."

"Ausgerenkt."

"Macht es nicht besser."

"Nein, wohl nicht." Gavín seufzte und nickte. "Gut, in Ordnung. Am Ende der Woche bei Vellara?"

"Ja, aber wehe, du bist nicht da!"

Gavín rollte mit den Augen und gemeinsam gingen sie zu Meister Roland, der immer noch in seinen Büro saß, Licht brannte hinter den Fenstern. Der Druide klopfte.

"Rein!", ertönte es hinter der Tür, welche Gavín öffnete.

"Meister Roland? Habt Ihr kurz Zeit für uns?"

"Ah, Master Gavín und Mistress Sillana." Er winkte ihnen, seine rote Robe ein farbiger Fleck zwischen den dunklen Bücherregalen. "Kommt herein, kommt herein. Schließt die Tür, ja? Einen Tee?"

"Gerne.", murmelte Sillana und Gavín nickte. Der Meister setzte Tee auf, sinnierte leise vor sich hin und war erst gedanklich bei ihnen, als er ihnen den Tee serviert hatte.

"Also, was führt Euch zu mir zu dieser fortgeschrittenen Stunde?"

Gavín warf einen Blick nach draußen. Auch, wenn es auf den Herbst zuging, herrschte noch genügend Tageslicht. So spät war es dann doch nicht.

"Wir...nein, anders." Gavín räusperte sich und erzählte die ganze Geschichte aus seiner Sicht, ließ dabei auch nicht aus, dass er dem Großen das Messer entwendet hatte - was er Roland überreichte - und dass er ihm den Daumen ausgerenkt hatte.

"Wisst ihr, wer sie waren?"

Gavín und Sillana beschrieben die Schüler.

"Hm, ja, ich kenne sie." Roland drehte das Messer in der Hand. "Keine Beschriftung. Manche lassen ihre Namen auch eingravieren. Das wäre ein eindeutigerer Beweis gewesen. Aber gut, sie werden ihre Blessuren haben. Ich werde das zum Dekan mitnehmen. Danke euch, dass ihr so schnell zu mir gekommen seid. Ich werde mich darum kümmern. Ihr solltet euch zu Bett begeben." Er schaute Sillana an. "Ist Euch mehr passiert als das?"

"Nein, bisher nicht."

"Gut, sonst hätte ich Euch zu Meistern Melania geschickt. Es war ein glücklicher Zufall, dass Euer Bruder da war. Aber wie ich verstehe, habt Ihr auch austeilen können." Ein verschmitztes Lächeln glitt über die Züge des älteren Mannes. "Ich habe wohl die richtige Schülerin in meiner Umgebung."

Er entließ das Geschwisterpaar, welches sich zu den Wohnhäusern begab, dieses Mal ohne Unterbrechung.

"War das schlimm?"

"Gav... du hast Öl in ein Feuer gegossen, welches nicht richtig brannte. Das wird noch viel schlimmer.", sprach Sillana düster, lehnte sich aber an ihn, sie roch nach Pergament und Staub. "Danke."

"Immer."

Sie verabschiedeten sich, ihre Zimmer lagen auf unterschiedlichen Stockwerken, aber zumindest im gleichen Haus. Gavín bedankte sich in seinem Zimmer bei Lanialellara, bevor er sich seinen selbst auferlegten Hausaufgaben zuwandte.

Dabei versprach er sich eines: niemand würde seiner Schwester etwas tun, solange er dabei war und lebte. Das nächste Mal, sollte es ein nächstes Mal geben, würde er mehr tun als nur Daumen ausrenken.

Das schwor er bei dem Engel, an den er glaubte.

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